Juni 2025

Wie die Angst vor Lepra zu mehr Lepra führt

Der Kampf gegen Lepra ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte: In vielen Ländern der Welt ist die Infektionskrankheit mittlerweile nur noch in den Geschichtsbüchern zu finden. Doch Indien kommt der Eliminierung der Krankheit nur langsam näher. Eine Studie von FAIRMED zeigt, warum sich Massnahmen gegen Lepra unbedingt auch auf Wanderarbeiter und ihre Familien fokussieren müssen.

*In historischen Zeiten wurden Lepra-Erkrankte häufig dazu verpflichten, sich mit lauten Geräuschen erkennbar zu machen, um Herannahende vor sich zu warnen. Hier ist eine sogenannte Lepra-Klapper zu sehen, ein Holzinstrument. (Bild: Wikipedia)

Die gute Nachricht zuerst: Die Wahrscheinlichkeit, als Schweizerin oder Schweizer heutzutage an Lepra zu erkranken, ist enorm klein. Der letzte Lepra-Kranke in der Schweiz starb vor rund 100 Jahren, seither ist die Infektionskrankheit aus unserem Alltag verschwunden. Und das trifft auch auf grosse Teile der Welt zu: Rund 95 Prozent aller Menschen weltweit verfügen inzwischen über ein Immunsystem, das dem Lepra-Bakterium gewachsen ist und es abwehren kann. Dazu kommt, dass Lepra seit den Sechzigerjahren vollständig heilbar ist, wenn es früh genug diagnostiziert wird. Die weniger gute Nachricht ist allerdings, dass auch im Jahr 2025 noch nicht alle Menschen von diesen medizinischen Errungenschaften profitieren können. Rund 200'000 Menschen erhalten jährlich die Diagnose Lepra. Der Grossteil der Fälle betrifft Südostasien, insbesondere Indien.

Menschen mit Lepra werden noch immer verstossen

Warum tritt die uralte Infektionskrankheit gerade in Indien nach wie vor auf? Eine Studie von FAIRMED (siehe Box) zeigt, dass ein Faktor die Bekämpfung der Krankheit massgeblich erschwert: das Stigma, das mit einer Erkrankung und Diagnose verbunden ist. In Teilen von Indien werden Menschen, die an Lepra erkranken, von der Gesellschaft ausgegrenzt und aus ihren Familien verstossen. Das ist an sich keine neue Entwicklung, schon seit Tausenden von Jahren werden Erkrankte geächtet und gemieden. Aber die Studie zeigt mit trauriger Deutlichkeit, wie die Angst vor Lepra massgeblich zur Ausbreitung der Krankheit beiträgt.

Den Rückmeldungen der Befragten (siehe Box) ist zu entnehmen, dass Erkrankte um jeden Preis verhindern wollen, dass ihre Erkrankung bekannt wird. Sie reisen daher von ihrem Wohnort in andere Gebiete, um sich dort ohne das Wissen ihrer Familien und Bekannten behandeln zu lassen. Auch scheinen viele der Befragten davon auszugehen, dass Behandlungsmöglichkeiten gegen Lepra nur in den Städten angeboten werden und auf dem Land keine medizinischen Angebote für Erkrankte existieren. Beide Faktoren führen dazu, dass Betroffene von ländlichen Gebieten in die grösseren Städte reisen, um sich dort behandeln zu lassen. Das verstärkt das Risiko, dass Erkrankte auf der Suche nach Heilung fernab ihrer Wohnorte andere Menschen anstecken. Besonders gefährlich ist das in den städtischen Ballungszonen, wo Überbevölkerung und die damit verbundenen Herausforderungen bei der Hygiene den idealen Nährboden für Krankheiten wie Lepra darstellen.

Frauen und Kinder sind schwieriger zu erreichen

Dieser Effekt wird dadurch weiter verstärkt, dass viele Männer aus der armen Landbevölkerung in den Städten nach Arbeit suchen. Sie migrieren zwischen ihren Dörfern auf dem Land und den Arbeitsmöglichkeiten in den Städten, was dazu führt, dass die Lepra-Erkrankungen auch auf dem Land zunehmen. Zwar finden die Wanderarbeiter in den Städten mehr Möglichkeiten für die Behandlung einer Lepra-Erkrankung, allerdings kehren Betroffene häufig in ihre Dörfer zurück, ehe die Behandlung vollständig abgeschlossen ist. So stecken die Zurückgekehrten mitunter auch noch ihre Familien an. Das ist insbesondere für Frauen und Kinder ein grosses Risiko, da eine Infektion mit Lepra bei ihnen häufig erst verspätet oder gar nicht festgestellt wird. Die Männer reisen für die Suche nach Arbeit wieder in die Städte zurück, während die Familien erkrankt zurückbleiben. Die Wanderarbeiter werden in den Städten mitunter präventiv gegen Lepra behandelt, was bei ihren Familien nicht der Fall ist. Erschwerend kommt dazu, dass Frauen auf dem Land aus traditionellen Gründen häufig nicht im gleichen Ausmass reisen wie Männer und dadurch nicht die Chance haben, sich in den Städten behandeln zu lassen. Auch führt die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung häufig dazu, dass Lepra-Erkrankungen bei Frauen nicht diagnostiziert und behandelt werden. Sie verpassen dadurch das Zeitfenster für eine frühzeitige Behandlung. Das ist besonders tragisch, da Lepra zwar vollständig heilbar ist, ohne Behandlung mit der Zeit aber zu schwerwiegenden, dauerhaften Behinderungen führt.

Ländliche Gesundheitsversorgung und Behandlung von Frauen sicherstellen

Die Studie von FAIRMED liefert mögliche Antworten auf die Frage, warum Lepra insbesondere im ländlichen Indien nach wie vor überdurchschnittlich häufig auftritt. Und es lassen sich mehrere Empfehlungen ableiten, die FAIRMED in Zusammenarbeit mit den lokalen Gesundheitsministieren umsetzen möchte. Dazu zählt, sicherzustellen, dass die Gesundheitsangebote in den ländlichen Gebieten besser bekannt sind und über die notwendigen Ressourcen verfügen. So sollen es Betroffene nicht länger als notwendig empfinden, für eine kompetente und diskrete Behandlung in die Städte reisen zu müssen. Des Weiteren soll die Krankheitsgeschichte der Wanderarbeiter so dokumentiert werden, dass sie die Behandlungen gegen Lepra nicht nur starten, sondern auch gebietsübergreifend beenden können. Und es soll das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass an Lepra erkrankte Frauen aus Angst vor Stigmatisierung oder aufgrund von fehlenden Angeboten in den ländlichen Gebieten häufig keine angemessene Behandlung erhalten. Durch diese Massnahmen will FAIRMED einen Beitrag dazu leisten, dass Indien der Eliminierung dieser uralten Armutskrankheit wieder ein Stück näherkommt.

Die Studie

FAIRMED und ihre Partnerorganisationen haben für die Studie 396 an Lepra erkrankte Wanderarbeitende befragt. Des Weiteren wurden Gespräche mit 236 Familienmitgliedern der Betroffenen geführt. Der Fokus der Studie lag auf den indischen Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar, Delhi und Chandigarh. Diese Staaten wurden ausgewählt, weil in ihnen jedes Jahr überdurchschnittlich viele Fälle von Lepra-Erkrankungen gemeldet werden und weil dort besonders viele Menschen zwischen verschiedenen Staaten hin- und herwandern.

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