März 2024

Mitgefühl ist die beste Medizin

Die FAIRMED-Gesundheitshelferin Rashmila hat einen gut bezahlten Job als Studienberaterin in Kathmandu aufgegeben, um die Menschen im abgelegenen Sindhupalchowk-Distrikt am Fusse des Himalaya medizinisch zu versorgen. Mehr als ein Jahr dauerte es, bis sie das Vertrauen der dortigen Menschen gewann – mit Ausdauer, Mut und einer gehörigen Portion Humor.

Die Gipfel des Himalaya ragen majestätisch aus den tiefgrünen Tälern des Sindhupalchowk-Distrikts in Nepal. Eine andächtige Stille liegt über der malerischen Landschaft. Die Menschen, denen wir begegnen, sind so freundlich und liebenswürdig wie kaum an einem anderen Ort auf der Welt. Doch die idyllische Kulisse täuscht. Die Menschen, die hier wohnen, leben abgeschnitten und kämpfen noch immer täglich um Essen für die Familie, um Ausbildung und ja – auch um eine medizinische Versorgung. Doch Moment: Bei der Gesundheitsversorgung gibt es bereits gute Neuigkeiten zu berichten. Dank dem Gesundheitsprojekt «Von Mensch zu Mensch», das wir vor einem Jahr lanciert haben, hat sich die gesundheitliche Situation der Menschen in Sindhupalchowk bereits spürbar verbessert.

Mit Ihrer grosszügigen Unterstützung haben unsere lokalen Mitarbeitenden bereits mehrere einfache Gesundheitsstationen errichtet, zahlreiche Müttergruppen gegründet sowie lokale Mitarbeitende gewonnen und sie zu wertvollen Gesundheitshelferinnen und -helfern ausgebildet – dies in enger Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden vor Ort. Auf diese Weise gelangt Gesundheit von Menschen wie Ihnen zu den Ärmsten nach Nepal – in unser dreijähriges Gesundheitsprojekt «Von Mensch zu Mensch.»

Zitat

Dank dem Gesundheitsprojekt «Von Mensch zu Mensch» hat sich die gesundheitliche Situation der Menschen spürbar verbessert.

Zuerst eine zweistündige Bergwanderung

Nicht nur Unterstützende wie Sie sind diese Menschen, nicht nur die Begünstigten des Projekts – sondern auch unsere Gesundheitshelfenden, die eine viel tragendere Rolle für die Gesundheitsversorgung der Betroffenen spielen als sämtliche Medikamente und medizinischen Instrumente. Wir treffen unsere Gesundheitshelferin, die 32-jährige Rashmila, um acht Uhr morgens vor dem Gesundheitsposten des Dorfes Baluwa. Um von der Bezirkshauptstadt Melamchi hierherzugelangen, brauchten wir vier Stunden: zuerst rund zwei Stunden mit dem Auto über eine holprige Schotterstrasse nach Bahabarise, von dort anschliessend zwei Stunden zu Fuss in steilem Gelände bergauf bis Baluwa. Während wir uns noch die Augen reiben und in der kühlen Bergluft leicht frösteln, ist Rashmila bereits hellwach: «Die zwei Stunden zu Fuss hierhin und der steile Aufstieg haben mich schön erfrischt», sagt sie zu uns, untermalt von einem hellen, ansteckenden Lachen. Rashmilas Gesicht ist noch gerötet von der körperlichen Anstrengung.

«Ich stehe ja jeden Tag um drei Uhr auf und mache mich um vier Uhr auf den Weg zur Arbeit.» Rashmila wohnt im Dörfchen Bahabarise, wo sie aufgewachsen ist, und geht täglich zu Fuss in die umliegenden Dörfer, um für die Gesundheitsversorgung der Dorfgemeinschaften zu sorgen. «Es gibt immer etwas, bei dem ich helfen kann: ein Schlangenbiss, ein geschwollenes Bein durch lymphatische Filariose oder eine schlecht heilende Wunde. Am meisten zu tun habe ich aber mit schwangeren Frauen und jungen Müttern», erzählt Rashmila.

Gita steht kurz vor der Geburt

«Hier im Sindhupalchowk-Distrikt ist die Gesundheit von Müttern und Kinder noch viel gefährdeter als in den übrigen Distrikten Nepals», erklärt uns Rashmila. «Die Strassen sind so schlecht und die Wege so steil, dass eine Frau mit Schwangerschaftsproblemen oder Geburtskomplikationen es kaum ins mehrere Stunden entfernte Spital schafft.» Viel mehr Väter, Ehemänner und junge Männer als in den meisten anderen Ländern der Welt sind ins Ausland ausgewandert, um dort Geld zu verdienen, und können nicht mithelfen, die Schwangeren über die steilen Bergpfade zu tragen. «Darum haben wir von FAIRMED den Gesundheitsposten hier nun so ausgerüstet, dass auch Schwangere behandelt werden können.»

Rashmila führt uns in den Gesundheitsposten, einem einfachen, von einem Wellblechdach bedeckten Steinhäuschen in hellem Türkis, das aus einem einzigen Raum besteht. Dieser ist Apotheke, Behandlungszimmer und Küche in einem. Die Hebamme Rina untersucht gerade die hochschwangere Gita. «Die Herztöne deines Babys sind gut», sagt Rina. «Bereits in zwei Wochen kann es zur Welt kommen. Hast du dir schon überlegt, wie du ins Spital nach Melamchi kommst?» «Ja, Rashmila hat mir in der Müttergruppe bereits einen Vorschuss aus der Mütterkasse gegeben, mit dem ich ein Taxi ab Bahabarise bezahlen kann, wo es eine Strasse nach Melamchi gibt. Den Bergweg bis Bahabarise kann ich selber gehen, meine Schwester wird mich zur Sicherheit begleiten.»

Eine Spitalgeburt ist gegen die Tradition

Rashmila unterhält sich in vertrautem und herzlichem Tonfall mit Gita, legt ihr andächtig die Hand auf den straff gespannten, kugelrunden Bauch. Dann notiert sie sich in ihrem Heft die Ergebnisse der letzten Schwangerschafts- und nachgeburtlichen Untersuchungen im Gesundheitszentrum. «Meine Aufgabe ist es, die werdenden und frischgebackenen Mütter so zu coachen, dass sie möglichst wenige Komplikationen erleiden. Das tönt so einfach, ist jedoch sehr schwierig: In den meisten Familien hier herrscht die Meinung, nur eine Hausgeburt sei ehrenhaft und eine medizinische Begleitung vor und nach der Geburt unnötig. Um mein Ziel zu erreichen – dass eines Tages alle Frauen zur Geburt ein Geburtszentrum aufsuchen – arbeite ich hart.»

Während die Hebamme die nächste Patientin begrüsst und deren zwei Monate altes Baby auf die Waage legt, folgen wir Rashmila hinaus auf den Platz, wo bereits Mütter mit Babys und Schwangere, im Schneidersitz auf dem Boden sitzend, warten. «Willkommen zur Müttergruppe», ruft Rashmila, «Namaste», rufen ihr die Frauen fröhlich zu. Sofort sind eine Vertrautheit und ein Wohlwollen wie unter eingeschworenen Freundinnen spürbar. Rashmila kennt alle Frauen und deren Geschichten, die Frauen anerkennen Rashmila als Expertin in Müttergesundheit und folgen ihrem Rat. Später wird uns Rashmila erzählen, dass dem am Anfang überhaupt nicht so war und dass sie sich das Vertrauen der Frauen über mehr als ein Jahr regelrecht erkämpfen musste.

Wie stark das Misstrauen gegenüber allem, was den überlieferten Traditionen zuwiderlaufen könnte, ist, bekommen wir auch in der Müttergruppe zu spüren. «Mein Mann und meine Schwiegereltern waren dagegen, dass ich mein Kind im Geburtshaus zur Welt bringe», erzählt uns Shanti. «Erst nachdem Rashmila mehrmals mit meinen Eltern geredet hatte, willigten sie ein. Heute sind sie froh, dass sie ihre Meinung geändert haben, denn ich hätte eine natürliche Geburt wohl nicht überlebt. Die Plazenta hatte sich vorzeitig abgelöst und ich wäre verblutet.»

Kamalas Frühchen überlebt dank Baby-Wärmelampe

Kamalas Baby kam zwei Monate zu früh und stark untergewichtig zur Welt. «Hätte mir Rashmila nicht einen Notfalltransport ins Geburtszentrum organisiert, hätte meine Tochter wohl nicht überlebt», sagt Kamala und drückt ihr wohlgenährtes Baby an sich, das zufrieden schläft und mit seinen stämmigen Ärmchen und prächtig runden Bäckchen so gar nichts mehr von einem Frühchen hat.

«Als Kamalas Tochter zur Welt kam, mussten wir sie im Geburtszentrum vierzehn Tage unter die Wärmelampe legen, sie konnte ihre Körpertemperatur noch nicht regulieren», erzählt Rashmila. «Zum Glück hat FAIRMED das Geburtszentrum mit einer Baby-Wärmelampe ausgestattet – vorher hatten wir nur einen einfachen Halogenstrahler, mit dem die Temperatur nicht so zu regeln war, um die Babys zuverlässig vor Unterkühlung zu schützen. Wir mussten die Frühchen ins Spital nach Melamchi bringen, und dabei haben nicht alle überlebt.»

Das Thema Verhütung sorgt für Fröhlichkeit

Die Gespräche in der Müttergruppe drehen sich um Ernährung während der Schwangerschaft, Vorbereitung für die Geburt und Säuglingspflege. Es wird immer wieder gelacht, besonders das Thema Verhütung belustigt die Versammelten. «Ab drei Monaten nach der Geburt könnt ihr euch die Verhütungsspritze für drei Monate verabreichen lassen», erklärt Rashmila, «bis dann müssen eure Männer sich in Geduld üben.»

Ein grosses Lachkonzert bricht aus den Frauen heraus, Rashmilas glockenhelles Gelächter sticht heraus und steckt die anderen Frauen immer wieder zu neuem Gelächter an. «Meiner ist ja gar nicht da!», gluckst Shanti, «Meiner auch nicht!», entgegnet Kamala. «Ja, auch wenn ihr im Moment alleinerziehend seid, weil eure Männer im Ausland arbeiten, passt auf, dass ihr eure Verhütung plant. Je mehr Kinder ihr habt, desto grösser wird das Risiko, dass eure Familien Hunger leiden. Ihr dürft selber über die Anzahl Kinder entscheiden, die ihr gebären wollt.

Wie Rashmila von der Betriebswirtschafterin zur Gesundheitshelferin wurde

Die Mütter sind längst nach Hause gegangen, der Abendhimmel leuchtet zwischen Orange, Purpur und Rosa, eine abendliche Kühle legt sich übers Dorf. Es ist 17.30 Uhr, Rashmilas Arbeitstag ist beendet. Sie hat nicht nur Mütter beraten, sondern auch einige Hausbesuche im Dorf gemacht, Wunden verarztet, Blutdruck gemessen, Medikamente abgegeben und Trost gespendet. Müde wirkt Rashmila nicht, sondern zufrieden. «Vor der Corona-Pandemie habe ich in der Hauptstadt Kathmandu Betriebswirtschaft studiert und anschliessend als Studienberaterin gearbeitet. Das war eine vergleichsweise langweilige Arbeit.

Meine Aufgaben als Gesundheitshelferin, zu der mich FAIRMED ausgebildet hat, sind viel spannender. Ich kann damit viel mehr Menschen helfen, Freude machen, sie aufheitern. Jeden Tag erlebe ich, wie ich an etwas ganz Grossem mitbauen kann – an einer besseren Gesundheitsversorgung für alle! Es braucht Kraft und Mut, aber das kommt meinem kämpferischen Naturell entgegen. Mein Job macht mich glücklich!» Eine herzliche Umarmung später macht sich Rashmila auf den Weg nach Hause. «Ich hoffe, dass mich kein Tiger frisst!», scherzt sie und macht sich mit entschlossenen, schnellen Schritten auf ihren zweistündigen, steilen Abstieg in die Abenddämmerung