FAIRMED vor Ort: Vielen Dank, Frau Eichenberger, dass Sie uns dieses Interview geben. Können Sie sich kurz vorstellen?
Dr.med. Anna Eichenberger: Ja, gern! Ich bin Fachärztin für Tropen- & Reisemedizin, Infektiologie und innere Medizin und arbeite seit fünf Jahren als Oberärztin in der Universitätsklinik für Infektiologie am Berner Inselspital. Ich bin 43 Jahre alt und lebe mit meinem Mann und meinen beiden Kindern in Hinterkappelen.
Vielen Dank. Wie sind Sie zur Reisemedizin gekommen?
In Südafrika aufgewachsen und zur Schule gegangen, hat es mich immer wieder nach Afrika südlich der Sahara gezogen, beruflich wie privat. Während des Studiums habe ich eine Faszination für die Tropen- und Reisemedizin entwickelt und mich deshalb dafür entschieden, diesen Facharzt zu machen. Dafür verbrachte ich dann einige Jahre in Madagaskar und Tansania.
Und in Nepal, um das sich dieses Magazin dreht, waren Sie auch bereits. Was raten Sie mir als Reisemedizinerin, wenn ich nach Nepal reisen will?
Sechs bis spätestens vier Wochen vor der Reise sollten Sie sich melden, so dass wir den Impfstatus überprüfen können. Die Grundimpfungen gemäss Schweizer Impfplan sollten alle Reisenden haben, dazu gehören die Impfung gegen Wundstarrkrampf, Diphterie, Polio und Masern. In den letzten Jahren gab es immer wieder Masernausbrüche, weshalb das wichtig ist. Zusätzlich empfehlen wir die Impfungen gegen Hepatitis A, Hepatitis B und Typhus. Falls die Reise in abgelegene Gebiete führt, ist auch eine Impfung gegen Tollwut angezeigt. Besonders Hunde in Nepal können infiziert sein, und die notwendigen Impfstoffe nach einem Biss stehen oft nicht zur Verfügung. Bei einem mehr als vier Wochen dauernden Aufenthalt in tiefer liegenden Gebieten würde ich ausserdem eine Impfung gegen Japanische Enzephalitis in Betracht ziehen.
Und was gehört Ihrer Meinung nach unbedingt in die Reiseapotheke, wenn ich meinen Rucksack für Nepal packe?
Ein Fieberthermometer, Desinfektionsmittel, Verbandsmaterial, Paracetamol gegen Fieber und Schmerzen, Elektrolytpulver oder Bouillon im Fall von Durchfall, ein Antiallergikum, Sonnencreme, Mückenspray und ein Medikament gegen Reisekrankheit.
Gibt es noch andere Vorbereitungen rund um die Gesundheit, die ich vor meiner Nepalreise treffen sollte?
Ja, wichtig ist die Frage, ob Sie vorhaben, bergsteigen zu gehen und, wenn ja, bis in welche Höhe. Es ist wichtig, über das Risiko einer Höhenerkrankung und wie ihr vorgebeugt werden kann, zu sprechen.
Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie in Nepal medizinische Hilfe benötigen würden?
Das kommt auf den Schweregrad der Erkrankung an. Bei harmlosen Erkrankungen würde ich zunächst eine ambulante Ärztin in der Nähe aufsuchen. Wenn es etwas Schwerwiegenderes ist, kommt eine Notfallstation, falls ein Spital in der Nähe ist, infrage. Ansonsten würde ich die Rega anrufen.
Das heisst also, dass ich am besten noch heute eine Rega-Mitgliedschaft abschliesse?
Ja, und es ist sicher auch gut zu überprüfen, ob die Krankenversicherung die Reise abdeckt.
Sie haben ja selber Nepal bereist. Erzählen Sie!
Vor 14 Jahren habe ich zusammen mit einer Arbeitskollegin Nepal bereist. Wir waren fast vier Wochen unterwegs, haben im Himalaya getrekkt, viele Städte und Tempel angeschaut und den Chitwan-Nationalpark im Süden des Landes besucht. Wir sind bis auf 4600 Meter über Meer hochgewandert. Das war für mich sehr spannend. Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie sich Höhenkrankheit anfühlt.
Wie war das?
Wir waren auf 4000 Metern über Meer, als ich morgens erwachte und dachte, ich fühle mich fit und gut. Ich wanderte also wie gewohnt ganz beschwingt los und plötzlich, nach nur 15 Minuten, bin ich komplett entkräftet zusammengesackt. Da sagte mein Sherpa zu mir: «Du musst laufen wie ein alter Mann, ganz langsam.» Das tat ich dann, und so schaffte ich es, die letzten Höhenmeter doch noch zu überwinden.
Sie haben also keine Medikamente genommen?
Nein, meine Kollegin und ich wollten bewusst nur bis zu einer Höhe aufsteigen, die wir mit wenig Bergsteige-Erfahrung bewältigen konnten. Und wir konnten die höhenbedingten Symptome durch langsames Aufsteigen kompensieren. Wenn man genügend trinkt und ab einer Höhe von 2500 Metern nicht mehr als 500 Meter pro Tag aufsteigt, sollte es zu schaffen sein.
Die Symptome in der Höhe beim Trekking waren nicht Ihre einzige Krankheitserfahrung in Nepal.
Ja, ich erlitt eine schwere Magen-Darm-Verstimmung, nachdem ich in einer Berghütte eine Tasse Tee getrunken hatte. Das war heftig, jedoch nach 24 Stunden überstanden. Bereits am Tag darauf sind wir weitergewandert! Ich glaube, ein nächstes Mal würde ich mir etwas mehr Zeit für die Erholung nehmen.
Sind Sie mit dem nepalesischen Gesundheitssystem in Berührung gekommen?
Ja, wir haben ein Spital besucht und gesehen, wie viel medizinisches Material fehlte, wie ärmlich und rudimentär es war. Ausserdem ist uns auf unserer Trekkingtour ein Mann mit vermutlich akutem Herzinfarkt begegnet, der mühsam und ohne medizinische Versorgung den Berg runtergetragen werden musste, weil der Helikopter nirgends landen konnte. Das zeigte uns, dass es sehr schnell sehr gefährlich werden kann.
Haben Sie auf Ihrer Reise durch Nepal auch etwas über Gesundheit lernen können?
Ja, ich denke, im weitesten Sinne habe ich bei meiner Reise durch Nepal, aber auch in anderen ähnlichen Ländern gelernt, dass ich nicht alles haargenau vorausplanen kann. Das Wichtigste, was ich auf meinen Reisen gelernt habe, ist: gelassen zu bleiben, um mit allem Unvorhergesehenen, das passiert, umgehen zu können.
Gibt es etwas, was Sie unbedingt in den Rucksack für Nepal packen würden, was nicht direkt mit Gesundheit zu tun hat?
Ja, ich würde auf jeden Fall ein Taschenmesser mitnehmen sowie je eine Packung Ragusa und Greyerzer Käse fürs Gemüt.
Nun ist ja die Abteilung für Reisemedizin, bei der Sie arbeiten, nicht nur Anlaufstelle für Reisende vor der Abreise, sondern auch für erkrankte Rückkehrende. Bringen Reiserückkehrende aus Nepal auch Krankheiten mit?
Und ob! Häufig klagen erkrankte Reiserückkehrende aus Nepal über Fieber und Durchfall. Bei akuten Fällen kann die Ursache bakteriell bedingt sein, auch Typhus ist möglich, bei länger dauerndem Durchfall kommen auch Amöben infrage. Je nach Befund behandeln wir diese Patient*innen mit Antibiotika oder Medikamenten gegen Parasiten. Es kommen auch immer wieder Reiserückkehrende mit Hautproblemen zu uns, die meist auf entzündete Mückenstiche zurückzuführen sind.
Wie sieht es denn aus mit der durch Mückenstiche übertragenen lymphathischen Filariose, auch Elefantiasis genannt?
Das Risiko für Kurzzeitreisende, an lymphatischer Filariose zu erkranken, ist extrem klein. Dennoch ist ein konsequenter Mückenschutz auch wegen anderer Erkrankungen zu empfehlen. In den letzten Jahren gab es einen Anstieg an Dengue-Fällen unter anderem im südasiatischen Raum, und dadurch kommen nun auch immer mehr Reiserückkehrende zu uns, die an Dengue erkrankt sind. Auch Nepalreisende können sich mit dieser durch tagaktive Mücken übertragenen Krankheit anstecken.